Gomnam – Reflexionen in der Diaspora von Ali Fathi ist ein zutiefst introspektives und vielschichtiges Werk, das Identität, Exil und die fragmentierte Natur der Erinnerung erforscht. Der Roman – zum Teil Memoiren, teils philosophische Reflexion – lässt den Leser in eine reich strukturierte Erzählung eintauchen und ist ebenso poetisch wie roh.
Durch die Erfahrungen des Protagonisten hinterfragt der Text die Idee des Selbst im Kontext der Vertreibung und webt einen Teppich aus Erinnerungen über Zeit und Raum hinweg.
Fathis Erzählung zeichnet sich durch eine nichtlineare Struktur aus, die eine nahtlose Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart ermöglicht. Der Roman beginnt mit einer Szene medizinischer Verwundbarkeit – einem Erwachen aus der Narkose – die als narrative Schwelle in die Vergangenheit des Protagonisten dient. Während der Protagonist zwischen
Bewusstseinszuständen driftet, tauchen Kindheitserinnerungen und Familiendynamik wieder auf, kulturelle Traditionen kommen wieder zum Vorschein und offenbaren die Komplexität der diasporischen Identität. Der Autor nutzt diese Struktur meisterhaft, um das dem Einwanderer innewohnende Gefühl der zeitlichen Entwurzelung hervorzurufen, die der Erfahrung des Immigranten innewohnt und bei der die persönliche Geschichte anhand von Fragmenten und nicht durch lineare Kontinuität rekonstruiert wird.
Eines der zentralen Motive des Romans ist der Name Gomnam, der „namenlos“ oder „anonym“ bedeutet und sowohl als persönliches Pseudonym, als auch als kollektive Metapher für das Verlorene und den Vertriebenen fungiert. Der Kampf des Protagonisten mit mehreren Identitäten – jeder Name repräsentiert eine andere Lebensphase – spiegelt eine umfassendere existenzielle Untersuchung wider: Wie versöhnt man die Vergangenheit mit einer sich ständig weiterentwickelnden Gegenwart? Diese Frage wird durch das kulturelle und familiäre Erbe des Protagonisten noch komplizierter, das sein Selbstbewusstsein prägt und gleichzeitig sein Gefühl der Zugehörigkeit destabilisiert.
Fathis Prosa ist lyrisch und dennoch unerschütterlich, sie wechselt zwischen eindrucksvollen Landschaftsbeschreibungen und intensivem Nachdenken über Exil und Sterblichkeit. Seine Auseinandersetzung mit Tabus – wie Tod, Glaube und Körper – überschreitet die Grenzen konventioneller diasporischer Erzählungen und weigert sich, Vertreibung zu romantisieren. Stattdessen befasst sich der Roman mit den Spannungen zwischen spiritueller Tradition und persönlichem Skeptizismus, insbesondere durch die Reflexionen des Protagonisten über religiöse Lehren, die Bedeutung von Ritualen und ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Lebens und den Tod.
Die Erzählung ist auch in ihrem Subtext zutiefst politisch. Nie offenkundig polemisch, beschäftigt sich Gomnam mit den historischen und gesellschaftspolitischen Kräften, die das Leben in der Diaspora prägen. Der Hintergrund des Protagonisten – eingebettet in ein komplexes Geflecht aus Familienhierarchien, Geschlechterrollen und gemeinschaftlichen Erwartungen – spiegelt umfassendere Kämpfe der kulturellen Assimilation und des Widerstands. Besonders ergreifend sind die Darstellungen von Kindheitserlebnissen, wie der Traumata durch erzwungener Übergangsriten und der stillen Rebellion gegen aufgezwungene Identitäten. Diese Momente haben eine universelle Resonanz, sie überschreiten bestimmte kulturelle Kontexte, um einen umfassenderen menschlichen Zustand anzusprechen.
Allerdings könnte der introspektive und fragmentierte Stil des Romans für einige Leser eine Herausforderung darstellen, da er Engagement erfordert, das über den passiven Konsum hinausgeht. Das Fehlen eines konventionellen Handlungsbogens und die fließende Verbindung zwischen Erinnerung und gegenwärtiger Realität erfordert einen immersiven Leseansatz, der diejenigen belohnt, die bereit sind, sich mit seinen vielschichtigen Bedeutungen auseinanderzusetzen.
Letztlich ist Gomnam – Reflexionen in der Diaspora ein intellektueller und emotionaler Roman, ein klangvolles Werk, das sich durch philosophische Tiefe und literarische Handwerkskunst auszeichnet.
