Heute besprechen wir das Buch Novemberkind von Esther Gille, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit der Autorin des Buches, um die persönlichen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind.
Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die die Autorin im Laufe ihres Schreibens anspricht und die sie mit ihren Leserinnen und Lesern teilen möchte.
Novemberkind von Esther Gille, erschienen beim Verlag Europa Buch, kann definiert werden als ein mutiger, autobiografischer Roman und als eine dramatische Retrospektive: Die Willenskraft einer Frau die sich, trotz Schwierigkeiten und trauriger Vergangenheit, professionell verwirklicht. Sie schafft eine psychoanalytische Analyse ihres Lebens und zeigt uns, dass maladaptive Lebensschemata überwunden werden können und dysfunktionale Bewältigungsstile revidierbar sind. Alle Mitglieder einer Familie sind durch emotionale Bande miteinander verknüpft. Sind diese Verbindungen gestört, kann dies zu psychischen Problemen oder Krankheiten bei einem oder mehreren Mitgliedern der Familie führen.
Hier ist das Interview: Viel Spaß beim Lesen.
Welche Themen bestimmen das Buch?
Das zentrale Thema dieses Buches ist der Kampf um das Überleben der Protagonistin – also um mein Überleben – dramatischen und traumatisierenden persönlichen Lebensbedingungen. Damit eng verbunden sind die Themen Resilienz und Ressourcen. In diesem Zusammenhang finden sich die Anteile hohe Intelligenz, Mentalisierungsfähigkeit sowie emotionales Wahrnehmungsvermögen. Thematisiert werden die von Geburt an erlebten Traumata sowie die dadurch entstandene psychische Erkrankung Depression.
Ich habe nicht – wie aus psychologischer Sicht bei einer solchen Lebensgeschichte nahezu voraussehbar – Drogen, Alkohol oder Promiskuität zur Bewältigung meiner schmerzhaften Erfahrungen des psychischen und physischen Missbrauchs gewählt. Ich ging einen intellektuellen, schwierigen Weg, studierte Medizin und promovierte mit magna cum laude. In meinem Leben war ein beständiger Kampf gegen meine Depressionen und die damit verbundene Suizidalität und ein Nicht enden wollendes Suchen nach meiner Identität. Es sind auch die Themen persönlicher Kraft und Willensstärke, die in meinem Buch „Novemberkind“ ihren Ausdruck finden.
Retrospektiv sind alle genannten Themenbereiche unter dem Begriff einer außergewöhnlichen, eigenwilligen und in Teilbereichen selbstbestimmten Persönlichkeit zu subsumieren.
Welche psychoanalytischen, philosophischen oder anthropologischen Quellen waren für Sie eine Inspiration beim Schreiben dieses Buches?
Meine einzige, hocheffiziente, psychologische Inspirationsquelle ist die sogenannte Schematherapie. Vor mehr als 3 Jahrzehnten wurde diese von Jeffrey Young eingeführt. Jeffrey Young ist ein US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut. Er lehrt an der Columbia-Universität und leitet u.a. die Schema-Therapie-Institute in New York City und Connecticut. Im Rahmen der Verhaltenstherapie hat sich ein neues, kognitives Bezugssystem etabliert. In diesem System fand die Schematherapie ihren wertvollen Platz. Für mich persönlich ist es das Verständnis der Kind-Modi als primär erlebte emotionale Zustände als wesentlicher therapeutischer Anteil der Schematherapie – also die Arbeit mit dem Inneren Kind – die sich als sehr hilfreich erwiesen hat. Die unglaubliche Fülle und Komplexität intrapsychischer Phänomene erfordert dezidierte, handlungsleitende Strukturen, um zielgerichtete und effiziente therapeutische Arbeit leisten zu können. Ein großer Unterstützer der Schematherapie in Deutschland ist Eckhard Roediger, Leiter des Institutes für Schematherapie-Frankfurt (IST-F). Diese Therapieform ist einfühlsam und fürsorglich im Rahmen der therapeutischen Möglichkeiten. Sie ist wissenschaftlich basiert und systematisch.
In dankbarer Erinnerung wurde ich von einem entsprechenden klinischen Psychotherapeuten behandelt.
Wie kann die Protagonistin eine psychoanalytische Analyse ihres Lebens erfolgreich schaffen und maladaptive Lebensschemata und dysfunktionale Bewältigungsstile wirklich überwinden?
Die psychoanalytische Analyse meines Lebens ist nach erfolgter, sehr intensiver, mehrmonatiger stationärer Psychotherapie Anfang 2019 erfolgreich entstanden. Grundlage waren die täglichen mehrstündigen, psychotherapeutischen Gespräche mit meinem behandelnden klinischen Therapeuten in Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Leiter der Aufnahmeklinik. Meine eigene psychoanalytische Analyse ist erwachsen aus meinem neuen Verständnis vergangener und gegenwärtiger Lebenssituationen und ihrer Neuinterpretation. Wie habe ich maladaptive Lebensschemata und dysfunktionale Bewältigungsstile überwunden? Indem ich diese als solche erkannte, respektierte und angenommen habe als gewesene Anteile meines Lebens. Ich habe meinem Therapeuten vertraut, öffnete mich und begriff, dass es alternative, funktionierende Bewältigungsmöglichkeiten gibt. Dazu war zwingend erforderlich, meine Gefühle wahrzunehmen und traumatisches Erleben in der Erinnerung erneut zu ertragen und auszuhalten. Ich habe mir unter großen psychischen Schmerzen diesen neuen Weg erarbeitet. Es hat sich gelohnt und jetzt gehe ich ihn – meinen neuen Weg.
Mein Therapeut informierte mich über mögliche Traumafolgestörungen (Traumagedächtnis). Ich führte imaginative Konfrontationsübungen durch (IRRT). Das bedeutet, zunächst das traumatische Geschehen zu berichten. In einem zweiten Durchgang wurde diese Erinnerung modifiziert, indem ich als „heutiges Ich“ die Szene betrat und die früheren Täter entmachtete sowie mich als damaliges Opfer versorgte. Das Beschriebene ist nur ein kleiner, beispielhafter Anteil der durchgeführten Therapie, die mich in die Lage versetzte, in mein neues, lebenswertes Dasein einzutreten.
Wie würden Sie Ihren Schreibstil beschreiben und wie hilft er, Ihr Denken zu vermitteln?
Ich verfüge über keinen Schreibstil, den man schematisch deklarieren oder einordnen könnte. Meine Art des Schreibens ist Ausdruck meiner ureigenen Persönlichkeit. Genauso wie meine Schrift.
Ich denke – und schreibe. Ich erinnere mich – und schreibe. Es gab kaum Korrekturen in meinem Manuskript. Die Authentizität war in meiner Wahrnehmung ohnehin gegeben. Die Art, in der ich schreibe, vermittelt dem Lesenden also unmittelbar mein Denken, mein Reflektieren, meine Emotionen. Ich denke oft auf verschiedenen – aber ineinander greifenden – rationalen, emotionalen, hinterfragenden oder introspektiven Ebenen. Manchmal in kurzen, unmittelbaren, präzisen Sätzen. Ein anderes Mal ausführlicher und erklärender.
Zusammenfassend ist mein Schreibstil der authentische Ausdruck meines Denkens und Fühlens.
Was möchten Sie Ihren Leserinnen und Lesern vermitteln?
Ich wünsche mir, meinen Leserinnen und Lesern nahebringen zu können, dass sie in ihrer ganzen Individualität wertvolle, liebenswerte Menschen sind. Ich will ihnen sagen, dass wir auch in den schwierigsten und schmerzhaftesten Situationen unseres Lebens Auswege zum Guten finden können, wenn wir den Mut und die Kraft aufbringen, unsere Gefühle zuzulassen, wahrzunehmen und auszuhalten. Das ist die Voraussetzung, die es uns ermöglicht, uns selbst liebevoll anzunehmen und unseren eigenen Wert zu erkennen. Wir besitzen eine große innere selbstwirksame Stärke. Wir dürfen sie finden und wir können sie nutzen. Wir verfügen über die Möglichkeit, unsere Ansprüche zu verändern. Wir dürfen unsere Eigenverantwortung annehmen. Wenn wir das tun, erfahren wir, welche Veränderungsmöglichkeiten vorhanden sind. Jeder von uns ist als Mensch ausgestattet mit wunderbaren Eigenschaften. Jeder von uns trägt in sich sein Inneres Kind. Dieses Innere Kind ist auch im Erwachsenenalter noch hoch wirksam. Denn was es in frühester Kindheit emotional erlebt und erfahren hat, begleitet und bestimmt uns ein Leben lang. Unsere Seele vergisst nicht. Wenn es gelingt, Kontakt zu diesem Inneren Kind aufzunehmen und zu erleben, dass wir es trösten, lieben und stärken können, dann haben wir das Wertvollste gefunden, uns selbst in unserer ursprünglichen Art.
Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern von Herzen den Mut, sich auf diesen Weg zu begeben.
Ich wünsche allen die Freude der Begegnung mit ihrem Inneren Kind.
Fangen Sie an. Heute!
Wir danken der Autorin für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Erfahrungen auf den Kern zu bringen. Novemberkind von Esther Gille, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine innere Reise gehen, an deren Ende wir alle bewusster und menschlicher werden können.