Heute besprechen wir das Buch JESUS von Lothar Beck, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
JESUS von Lothar Beck, erschienen beim Verlag Europa Buch „möchte wieder zusammenbringen, was zusammen gehört, und zu einer Weltsicht anregen, die Menschlichkeit als Möglichkeit der Natur begreift und die Natur als Mutter der Menschlichkeit ehrt. Eine solche Weltsicht ist uralt und war einmal global verbreitet, als das Fraulich-Mütterliche kulturell im Zentrum des Zusammenlebens stand“.
Diese uralte Verbindung von Natur und Menschlichkeit kommt schon in den prähistorischen Frauenfiguren zum Ausdruck, in die die Lebenszyklen von Geburt und Tod, Frühling und Herbst hineingenommen sind. Die etymologische und philologische Erforschung der Kultur unserer Vorfahren bestätigt diese ganzheitliche Sichtweise. Die zyklische, matriarchale Naturmythologie gibt uns ein anderes Selbstverständnis und eine andere Weltverortung als die lineare, patriarchale Geschichtsmythologie.
Mit aufklärendem Blick will uns der von Maria Magdalena zum heiligen König gesalbte Jesus mitnehmen auf einen Weg, in dem das Menschliche eingebettet ist in das Leben der Natur. Die tiefgreifende Analyse, die dem Buch zu Grunde liegt, führt uns mitten hinein in die heutige Zeit und die Probleme, mit denen die moderne Kleinfamilie tag täglich zu kämpfen hat.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Welches Verständnis der Beziehung zwischen Mensch und Natur bringt Ihre Jesus-Figur zum Ausdruck?
In seinem Selbstverständnis als Sakralkönig und Abbild des vorpatriarchalen Jahwe sind für Jesus die Kräfte der Natur mütterliche Lebenskräfte. Diese Lebenskräfte wirken aus sich heraus: Das Korn wächst von selbst, er weiß nicht wie. Diese Lebenskräfte ernähren uns trotz widriger Umstände: Die Aussaat erbringt ein hundertfältig tragendes Kornfeld. Seine Vision des nahen Mutterkönigtums (Basileia) ist im Wachstum der Bäume zu beobachten und in der Liebe zwischen den Menschen. Deshalb ist es möglich, dass ein Samariter spontan, also aus sich heraus, dem unter die Räuber Grfallenen hilft. Die Samaritaner haben Jahwe noch lange nach Davids Proklamation des Monotheismus als sterblichen Sohn der Aschera betrachtet. Schließlich identifiziert sich Jesus als Abbild des alten Jahwe mit dem Essbaren, das die Natur schenkt: mit Brot und Wein und mit dem Lammfleisch. Das bedeutet, dass er sich selbst innerhalb des Naturkreislaufs von Leben und Sterben als essbar versteht. Jesu Auftreten als matriarchaler Sakralkönig innerhalb eines patriarchalen Herrschaftssystems macht ihn zu einem radikalen Patriarchatskritiker. Diese Kritik gipfelt zum einen in der Vorrangigkeit des Lebens vor jeglicher gesetzlichen Bestimmung wie der des Sabbatgebots, zum andern in der Identifikation mit der emotionalen Perspektive aller Verachteten und Ausgegrenzten.
Wie haben sich die Struktur und das Konzept der Familie im Laufe der Jahrhunderte zur modernen patriarchalischen Struktur verändert?
In der matriarchalen Familie bleiben alle mütterliche Nachkommen zusammen. Die Vaterrolle für die Kinder haben die Mutterbrüder. Zwischen den Familien besteht freie Partnerwahl. Der Kernpunkt der Veränderung ist die Loslösung der Frau aus ihrem Familienverband und ihre strikte Anbindung an den Mann und seinen Familienverband. Die Erzählungen vom Frauenraub zeugen von diesem gravierenden Vorgang. Lange Zeit wurde die Ehefrau als Eigentum des Mannes betrachtet (10 Gebote), dem Manne untertan (Schöpfungsgeschichte). Die Auswirkung dieser hierarchischen Beziehungsdefinition haben die Frauen gesellschaftlich bis heute zu spüren, sowohl sprachlich-kulturell als auch ökonomisch. Erst durch den anhaltenden Kampf der Frauen um Gleichberechtigung seit dem Niedergang der patriarchalen Großfamilie um 1900 verändert sich im Bewusstsein und in der Realität etwas. Aber – das zeigen uns sowohl die Erschütterungen des 20. Jahrhunderts als auch die globalen Ausbeutungsstrukturen des postkolonialen Kapitalismus – es geht nicht nur um Gleichberechtigung, sondern um das Ende patriarchaler Gewaltstrukturen im ökonomischen und im politischen Bereich und um die Anerkennung des weiblich-mütterlichen Ursprungs und Oikos, um die Ehrfurcht vor dem Leben als Höchstwert, der nicht ökonomisch beziffert werden kann.
Welche Rückschlüsse haben Sie durch das Studium prähistorischer Funde, der Literatur und des frühen Christentums auf die Figur Jesus gezogen?
Um es gleich vorab zu sagen: Das frühe Christentum hat den Jesus sehr schnell ideologisch patriarchalisiert. Er wurde zum Vatersohn deklariert, den Gott opfern musste, um selbst den Menschen vergeben zu können. Damit wurde die Liebe, um die es Jesus ging wieder eingegrenzt und unter väterliche Bedingungen gestellt. Die männliche Allmacht blieb mythologisch unangetastet. Die prähistorischen Funde (Frauen- und Mutterdarstellungen lange vor männlichen Figurinen), die einschlägige Frauenliteratur (Gimbutas, Göttner-Abendroth, Weiler, v. Werlhoff) und die Person Jesu selbst erzählen uns aber etwas anderes, nämlich dass der Lebensursprung mütterlich ist: der in der Muttererde (Humus) neu aufkeimende Samen, die in ihrem menstrualen Rhythmus tanzende Gebärmutter, die nach den Geburtsschmerzen dem Kind bedingungslos geschenkte Mutterliebe (Wurzel der Humanität). Sie erzählen uns davon, dass das Männlich-Väterliche immer in Sohnschaft eingebunden ist und in Liebschaft eine unterstützende Funktion hat. Jesus selbst hat einen Lernprozess durchlaufen. Unter der Supervision der Frauen ist er gereift: Die Frauen haben alles gegeben, um ihn ökonomisch abzusichern, eine Syrerin hat ihn von nationaler Engführung befreit, eine Samariterin hat ihn von einer ideologisierten Sprache in die Konkretion gewiesen, eine Hure hat ihm die Große Liebe gezeigt, die Sakralkönigin Maria Magdalena hat ihn kontinuierlich begleitet bis ans Kreuz. Sie erlitt von Anfang an – ähnlich wie Eva – eine Zurücksetzung. Ihre Wirksamkeit ist nur noch indirekt spürbar in der Wirksamkeit Jesu.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von anderen zum gleichen Thema?
Der grundlegende Unterschied ist der, dass ich das Königtum Jesu als sakrales Priesterkönigtum verstehe, worauf vieles hinweist: Jesus wurde von Maria Magdalena gesalbt, er zog in die Hauptstadt ein auf dem Füllen einer Eselin, er identifizierte sich am Brotfest mit dem Brot, dem Wein und wohl auch mit dem Lamm, das er mit den Seinen gegessen hat. Er war ein sterblicher Mensch. Sein radikaler Einsatz für das Leben und für die “Geringsten” und sein Verweis jeglicher patriarchalen Fundamentalismen und Prinzipien als nachrangig kosteten ihn nach geltendem Recht das Leben. Freigelassen wird denn auch der Vatersohn Bar-abbas, während der Muttersohn Jesus hingerichtet wird.
Dieser Ansatz hat, wenn man die Erkenntnisse der Matriarchatsforscherin Heide Göttner Abendroth heranzieht (Die Göttin und ihr Heros), weitreichende Folgen: Maria Magdalena muss als Priesterkönigin gesehen werden, die sich ihren königlichen Partner erwählt. Das Sakralkönigspaar Maria und Jesus müssen als Abbild der Muttergöttin und ihres sterblichen Heros Jahwe gesehen werden. Die mythologische Gestalt der Muttergöttin aber ist nichts anderes als die Lebenskraft, Weisheit und Liebe, die wir in der Natur (Mutter Natur) erfahren. Die mythologische Gestalt des Jahwe ist dann nichts anderes als Symbol für alles Geborene und damit sterblich.
Wenn wir Maria und Jesus als Sakralkönigspaar inmitten patriarchaler (Un-)Zeit sehen (eigentlich ein Anachronismus) dann befreit dies das christliche Denken von jeglicher patriarchalen Freund-Feind-Ideologie, Hierarchie und Gesetzlichkeit. Unser Denken und Handeln wird ganzheitlich (statt dualistisch) und verbindet sich eng mit dem mütterlichen Oikos der Natur. “Gott” wie wir ihn in politheistischen Anfängen seit der indogermanischen Wanderung und in monotheistischer Vollgestalt mit der Machtübernahme des Königs David in Israel kennen (1 Gott, 1 König, 1 Gesetz, 1 Volk) wird als patriarchales Konstrukt männlicher Allmachtsvorstellungen entlarvt: ein Gott, der die schlechte Welt der Primitiven, der Ungläubigen und der Volksfeinde in seinem fundamentalistischen Zorn vernichtet, um seinen guten Willen durchzusetzen. Die Sprache wird ehrlicher und dient nicht mehr dazu, die väterliche Ideologie zu begründen: Wir reden nicht mehr apologetisch davon, dass Gott ja doch die Liebe sei, dass er wie eine liebende Mutter sei oder wie eine Henne, die ihre Küken beschützt, weil für uns die Liebe und das Leben selbst das Höchste ist, weil die liebende Mutter selbst uranfängliche Bedeutung hat ebenso wie die Henne, die ihre Küken beschützt. Schließlich ist neu in meinem Buch, dass sich durch das matriarchale Jahweverständnis eine unmittelbare Nähe zu unseren mitteleuropäischen, vor-indogermanischen Heroen Tyr, Wodan und Thor erahnen lässt, die eine gewaltsame Okkupation der alten Kultorte und -zeiten erübrigt hätte. Darum lass ich in meinem Buch den Jesus als Abbild des matriarchalen Jahwes um den Bodensee (statt um den See Genezareth) wandern. Und es ist erstaunlich, wie nahe Jakobus dem Tyr, Petrus dem Thor und Wodan dem Johannes kommt. Dieses Experiment soll jede/n ermutigen, auch ihre/seine vorpatriarchale, naturmythologische Symbolwelt mit der des Alten Israel zu verbinden. Die gesellschaftspolitischen Konkretionen meines Schlußteils sollen nicht unerwähnt bleiben.
Wie war Ihre Erfahrung als Autor mit Europa Verlag? Würden Sie es wieder tun? Planen Sie, weitere Bücher zu schreiben?
Die Erfahrung war gut und die gute Erfahrung hält noch an. Das Layout war ansprechend, die Pressewerbung geht voran. Ich plane ein weiteres Buch, möchte aber abwarten, wie gut das Jesusbuch letztlich ankommt.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. JESUS von Lothar Beck, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und bringt uns dazu, auf neue und bewusste Weise über Themen nachzudenken, die sowohl für unsere kulturelle Vergangenheit als auch für unsere heutige Identität von grundlegender Bedeutung sind.