Heute besprechen wir das Buch DER LANGE SCHATTEN DES MAULBEERBAUMS von Heinrich Göttel, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
Die Herkunft des Autors aus multiethnischer Umgebung und seine Spezialisierung auf die Short Story geben dem Leser tiefe Einblicke in die donauschwäbische Kultur und Lebenswelt über ein Menschenalter hinweg. Der lange Schatten des Maulbeerbaums mit ihrem zeitlosen, von der Literatur der 20. Jahrhunderts beeinflussten Stil präsentieren 82 Prosatexte und 148 Gedichte. Der Dichter vergegenwärtigt die verlorene Heimat im einst toleranten Neben- und Miteinander im Völkergemisch Pannoniens, das tragische Zerbrechen der traditionellen Welt durch gegenseitige Gewalt und Hass, die Verfolgung der deutschen Bevölkerung Jugoslawiens, ihre Flucht und Lagerzeit in Österreich, den Aufbau einer neuen Heimat in Kanada. Sowohl Göttels Kurzgeschichten wie auch seine Gedichte sind autobiografisch grundiert, leben aber aus ihrer eigenen poetischen Realität.
Hier ist das Interview mit dem Heinrich Göttel, Autor von DER LANGE SCHATTEN DES MAULBEERBAUMS, erschienen beim Verlag Europa Buch : Viel Spaß beim Lesen.
Welche Werte und Erfahrungen wollen Sie mit ihren Gedichten und Prosatexten ausdrücken?
Die Werte, die ich in meinen Gedichten und Geschichten ausdrücken will, sind Heimat (Örtlichkeit, Seelenheimat), Nächstenliebe (Hilfsbereitschaft, Opferwilligkeit) und Toleranz (Duldsamkeit, Nachsichtigkeit).
Die Erfahrungen (und Erlebnisse), die ich darstelle, sind Verlust der Heimat durch Vertreibung, Lagerleben in Österreich, Auswanderung nach Kanada, in ein Land, dessen Sprache, Kultur und Lebensweise mir fremd waren, in dem ich aber eine zweite Heimat gefunden habe. Die Inhalte (Themen) stellen meine Lebenserfahrungen (größtenteils) fiktiv dar.
Meine Gedichte und Geschichten reflektieren durch die Darstellung von Örtlichkeiten, Situationen und die Eigenschaften (Charaktere) der Personen, diese Stationen in meinem Leben.
Ich bin ein 91-jähriger Neuer Autor. Aber trotz unvermeidlichen Verfallserscheinungen an Körper und Geist trachte ich immer noch danach, mein Leben nach angeeigneten Werten zu führen, auch will ich diese Werte in meinen Geschichten und Gedichten ausdrücken. Ich sammle immer noch Erfahrungen (gelesene, gehörte, gelebte), die mir zugute kommen. Humboldts Worte „Der Mensch muss das Große und Gute wollen, das Übrige hängt vom Schicksal ab” lese ich immer wieder, sie sind mir Ermahnung, gelegentlich auch Herausforderung.
In meinen Gedichten und Prosatexten (Kurzgeschichten) will ich zwar Werte wie Heimat, Nächstenliebe und Toleranz ausdrücken, selbstverständlich aber nicht in Form einer Abhandlung oder Begriffsklärung, sondern veranschaulicht am gelebten Beispiel und in poetischer Vergegenwärtigung.
Wie ermöglicht uns die Literatur, die Realität kennen zu lernen?
Beim Lesen von dichterischer Prosa oder Lyrik erfahren wir die Welt und zugleich uns selbst als Mitleidende, nicht nur als unbeteiligt Wahrnehmende. Insofern hat schöngeistige Literatur immer auch einen sensibilisierenden, aufklärenden, pädagogischen, bildenden und allgemein bereichernden Faktor. Poetische Realität kann in ihren Komponenten weitgehend erfunden sein und dennoch im Kern die immer auch subjektive Realität erfassen. Zugespitzt gesagt, können also poetische Lügen der Welterfahrung und Wahrheitsfindung dienen.
Das gestaltete Wort kann die Schönheit der Welt besingen und ihre inneren Zusammenhänge erfahrbar machen. Sowohl der Erzähler wie auch der Lyriker blickt durch eigene Leiderfahrungen nicht nur tiefer, er benennt die Dinge auch klarer, ja er sieht manche Tragik voraus. Der Dichter erreicht durch seine kreative Weltaneignung nicht nur innere Befriedigung und Erfüllung, sondern gewinnt auch echtes Selbstbewusstsein, das ihn befähigen kann, auch auf anderen Feldern, etwa dem beruflichen, zu bestehen.
Wie entscheidend sind persönliche Erfahrungen und der eigene Charakter beim Schreiben und Lesen von Gedichten und Prosatexten?
Meine schöngeistige Produktion ist stets aus meinem unverwechselbaren Charakter, aus allem, was mich geprägt hat, also aus meiner Herkunft und meinem Werdegang, meinen persönlichen Erfahrungen gewachsen, so sehr ich auch dann die Elemente eines Gedichts oder einer Erzählung neu anordnen oder erfinden musste, um die Leuchtkraft eines Vorfalls und seine poetische Plausibilität zu steigern, und so sehr ich dabei auch aus den Werken anderer Schriftsteller und Dichter lernen musste, um meinen eigenen Stil, meine eigene Handschrift zu erobern.
Wie würden sie ihren Schreibstil beschreiben und wie hilft er, Ihr Denken zu vermitteln?
Den Stil eines Literaten einzuordnen, zu beschreiben und zu beurteilen, sind wohl vorrangig Kritiker und Literaturwissenschaftler berufen. Was mich selbst angeht, so habe ich mich immer um größtmögliche Einfachheit, Kürze und Verdichtung bemüht. Ich war auch bestrebt, die ursprüngliche, manchmal auch derbe Ausdrucksweise des meist ländlich geprägten Menschenschlags abzubilden, den ich mit den Vertretern verschiedener Ethnien und gesellschaftlicher Positionen immer wieder zu schildern versucht habe. Auf diese Weise sollen die Protagonisten mit ihren Merkmalen aus sich selbst heraus einleuchten. Ihre Charakterisierung tritt dadurch in den Hintergrund oder erübrigt sich weitgehend.
Wie war ihre Erfahrung mit Europa Verlag? Würden Sie es wieder tun? Planen Sie weitere Bücher zu schreiben?
In meinem hohen Alter plane ich keine neuen Bücher mehr, sondern bin glücklich über die Tatsache, dass mein literarisches Lebenswerk zusammengefasst in einem Band beim Europa-Verlag erscheinen konnte. Meine ganze Hoffnung richtet sich nun darauf, dass dieses Buch auch kompetent besprochen, bekannt und gelesen wird. Vom Europa-Verlag verspreche ich mir eine effektive Unterstützung in diese Richtung.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. DER LANGE SCHATTEN DES MAULBEERBAUMS von Heinrich Göttel, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine Reise des Bewusstseins gehen, die uns lehrt, das, was wir jeden Tag erleben, nicht für selbstverständlich zu halten und zu versuchen, den Sinn des Lebens durch die Kraft der Poesie zu finden.