Heute besprechen wir das Buch FLÜSTERN UND RUFEN von Wolfgang Raupp, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
FLÜSTERN UND RUFEN von Wolfgang Raupp, erschienen beim Verlag Europa Buch, kann als eine Untersuchung über den innersten Sinn und Wert des Betens und eine tiefgreifende Reflexion über unseren Alltag definiert werden.
Das Beten ist oft ein Flüstern. Es wird etwas ausgesprochen, das man nur Gott ins Ohr flüstern möchte. Vor Gott kann ich mich geben, wie ich bin. Er weiß es ohnehin. Und niemand anderes erfährt, was ich flüstere.
Viele Menschen beten erst, wenn sie in einer Notlage sind. Dann ist ihr Gebet ein Hilferuf. Manchmal schreit eine Seele zu Gott, etwa wenn ein geliebter Mensch todkrank oder wenn er gestorben ist. Oft fällt es schwer, passende Worte zu finden für das, was einen in der Tiefe bewegt. Dann könnte es hilfreich sein, ein paar Gebete zu lesen, die andere formuliert haben. Vielleicht findet sich eines, das auch ein seltener Beter leise mitflüstern kann. Beim Beten brechen oft auch Fragen auf, z.B.: Ist das Beten nicht ein Selbstgespräch? Ob da wirklich jemand ist, der das Gebet hört? Manchmal wird selbst eine ganz dringende Bitte nicht erhört. Dann steht man vor der Frage, ob das Beten wirklich sinnvoll ist. Die 15 Abschnitte in diesem Buch, die mit dem Stichwort „Nachgedacht“ beginnen, beschäftigen sich mit solchen Fragen. Da wird keine lehrhafte Theologie des Gebets aufgebaut. Unser ganzes Leben ist ein Weg, auf dem wir immer wieder in neue Horizonte hineingehen. Darum möchte dieses Buch keine fertigen Antworten liefern, sondern Impulse, die anregen sollen, einen neuen Horizont zu entdecken.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Welche Themen bestimmen das Buch?
Was ist der Sinn des Betens? Diese Frage ist grundlegend, aber zugleich ist sie sehr abstrakt und darum auch schwer zu beantworten. Sie wird konkreter, wenn ich frage: Wann und wo betet man? Die christliche Kirche betet im Gottesdienst an mehreren Stellen, die den Sinn des Betens erkennbar machen.
In den Klöstern, aber auch im Leben einzelner Christen gibt es typische Gebetszeiten. Was ist charakteristisch für das Morgen-, Mittags- und Abendgebet? Auch im persönlichen Leben eines Menschen wird dort, wo ein Lebensabschnitt beginnt oder endet, gebetet: anlässlich einer Geburt oder Taufe, bei einer Trauung und bei einer Beisetzung. Welches der abgedruckten Beispiele solcher Gebete spricht mich an? Warum spricht mich gerade dieses Gebet an?
Viele Menschen, auch solche, die sonst selten oder nie beten, versuchen in einer Notlage ein Gebet zu sprechen – vor einer schwierigen Prüfung, wenn eine nahestehende Person krank wird oder stirbt oder wenn sie selbst auf ihr Ende zugehen. Dann rufen sie Gott um Hilfe an. Kann man sich dann darauf verlassen, dass das Beten „funktioniert“ – dass Gott schenkt, worum man ihn gebeten hat? Das Thema „Gebetserhörung“ ist für viele Menschen wohl das größte Problem beim Beten und nimmt in diesem Buch einen großen Raum ein.
Was verbindet Sie mit der Erfahrung des Gebets? Wie wichtig ist das Gebet in Ihrem Leben?
Was ist der Sinn meines Betens? Das irische Muiredachkreuz gibt eine bildhafte Antwort. Solche Kreuze wurden in Irland an Wegkreuzungen aufgestellt und laden dazu ein, darüber nachzudenken, in welche Richtung ich auf meinem Lebensweg gehen will und soll und welches meine wichtigsten Ziele sind. Dieses betende Nachdenken geschieht nicht im Rückgriff auf theologische Lehren, sondern im Gegenüber zu Gott und damit in einem weiten Horizont, der die Vorstellungen von der eigenen Identität und vom Sinn des Lebens weitet. Es lädt mich ein, Worte zu finden, die aussprechen, was mich in meiner Seele bewegt. Das Suchen und Finden neuer Worte hilft mir, mich selber und meine Probleme neu zu verstehen. Das ist oft die Voraussetzung für eine Problemlösung.
Was halten Sie von den Gedanken des Augustinus von Hippo über das Gebet, wenn er in De Magistro feststellt, dass die Worte, die wir an Gott richten, dazu dienen, uns selbst zu ermahnen, da Gott sie bereits kennt?
Unter der Überschrift „De Magistro“ überliefert Augustinus einen Dialog mit seinem verstorbenen Sohn. Wahrscheinlich wollte er damit deutlich machen, dass es hier nicht um eine Theorie geht, sondern um Fragen an den Glauben, die sich aus dem Leben ergeben.
Leidvolle Lebenserfahrungen werden oft zu Glaubenskrisen. Wir neigen dazu, Gott dann intensiv zu bitten, die Notlage abzuwenden. Nur – der allwissende und allmächtige Gott, weiß das alles schon. Ist ein Gebet in Gestalt eines Hilfeschreies dann wirklich nötig und sinnvoll? Von Sören Kirkegaard stammt der Satz: „Das Gebet verändert nicht Gott, sondern den, der betet.“ Wenn der Mensch seine Not vor Gott ausspricht, dann ist Gott nicht fern, sondern nahe. Das spendet Trost und Geborgenheit.
Nach Mt. 26,36-40 konnten auch Jesus und seine Jünger das Leiden des Gottessohnes zunächst nicht als gottgewollt akzeptieren. Jesus betete darum, Gott möge seinen Willen ändern und den Leidenskelch vorübergehen lassen. Aber schon in diesem Gebet ändert er sich selbst und wird bereit, sein Leiden zu akzeptieren.
Wenn Augustinus vom Ermahnen spricht, dann meint er wohl, der Mensch solle sich nicht an seinem alten Gottesbild festklammern, sondern einem neuen Gottesbild öffnen, nämlich dem, dass Gottes Hilfe darin besteht, dass er durch das Leiden und durch den Tod hindurch trägt.
Ist es Ihrer Meinung nach möglich, anthropologisch das Gebet als eine Selbstdarstellung des Menschen als Redner zu betrachten, um den Moment der Krise zu überwinden? Warum?
Anstelle von einer Selbstdarstellung möchte ich lieber von der Suche nach der eigenen Identität reden. Wer sich selbst anderen darstellen will, hat schon ein Bild von sich, wie er gesehen werden will. Wer seine Identität sucht, entwirft dieses Bild nicht selber. Er lässt es sich auch nicht von gesellschaftlichen Modetrends vorgeben, sondern tritt in einen Dialog mit einem großen Du, in dem die Wahrheit über das Leben ihr Fundament hat.
Wenn jemand ein Bittgebet spricht, dann fehlt ihm etwas, das er braucht zum Leben. Vordergründig mag es um materielle Lebensgrundlagen gehen. Aber in der Tiefe geht es darum, dass das wahre Leben verfehlt wird. Die Mönche versuchen, sich auf die Suche nach diesem wahren Leben zu konzentrieren indem sie auf die materiellen Lebensgrundlagen weitgehend verzichten.
Im Dankgebet spricht sich jemand vor Gott aus, bei dem er etwas gefunden hat, in dem das wahre Leben gegenwärtig ist.
Welche Horizonte haben sich durch die Erfahrung des Gebets und durch das Schreiben dieses Buches für Sie geöffnet?
Eines Tages wurde bei unserem Sohn Thomas Leukämie diagnostiziert. Der Tod wurde immer wahrscheinlicher. Im Krankenhhaus hat er mir erzählt, einer der älteren Jungen auf der Station habe gesagt: „Wenn jemand so krank ist wie wir, dann kann ihm auch Gott nicht helfen. Was hättest du dazu gesagt, Vati?“ Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel und habe geantwortet: „Das stellt mich vor die Frage, wie wir uns die Hilfe Gottes vorstellen. Wenn angesichts des Todes Gottes Hilfe nur darin bestehen kann, dass er uns vor dem Tod errettet, dann wird der Tag kommen, an dem er uns nicht mehr helfen wird, weil wir alle sterben werden. Wenn wir glauben können, dass Gott auch im Sterben bei uns ist und dass auch der Tod uns nicht aus seiner Hand reißen kann, dann bleibt Gott unser Retter, was auch kommen mag.“
Das war nicht neu für mich. Aber nun hat es mir – und wohl auch Thomas – in einer Lebens- und Glaubenskrise Geborgenheit vermittelte.
Beim späteren Durchlesen meiner alten Gebete wurde mir wieder bewusst: Im Beten habe ich etwas gefunden, das mich in der schwersten Situation meines Lebens getragen hat. Das war wohl das wichtigste Motiv, dieses Buch zu schreiben.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. FLÜSTERN UND RUFEN von Wolfgang Raupp, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine Reise des Bewusstseins gehen, die uns lehrt, das, was wir jeden Tag erleben, nicht für selbstverständlich zu halten und neue Horizonte zu entdecken.