Heute besprechen wir das Buch KITT(Y)LECTRIC und die Gaukler von Oliver Rennicke, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die persönlichen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
KITT(Y)LECTRIC und die Gaukler von Oliver Rennicke, erschienen beim Verlag Europa Buch, ist eine spannende Reise auf halbem Weg zwischen Wachen und Träumen.
Auf der Suche nach ihrer Mutter, die über Nacht spurlos verschwand, begibt sich die kleine Kitt auf eine ungewisse Reise in die Nacht. Verloren in einer kalten Außenwelt, die nur auf den ersten Blick der unseren gleicht, sich vielmehr aus ihrem Unterbewusstsein speist oder vielleicht auch Lichtjahre entfernt liegt, entfaltet sich eine dunkle Geistergeschichte für Erwachsene, deren naive Kindlichkeit wie ein Fels in sündiger Brandung steht. In einer Welt, in der sich Heldentum zumeist über Gewalt definiert, entwickelt sich die Flimmerkatze von Buch zu Buch zu einem Gegenentwurf, dem Versuch, eine andere Art von Heldenfigur zu etablieren, eine nicht materielle Konstante in unbekanntem Terrain, eine beste Freundin für die dunkelsten Stunden. Kittylectric und die Gaukler ist Ouvertüre für den rabenschwarz-neonfarbenen Kosmos der Kinderwald Gruppe (!) – Ein Opus über die schier grenzenlose Welt zweidimensionaler Filme und solcher, die nie gedreht wurden, flimmernder Fernsehkästen, die einst mehr Lebenszeit verschlangen und einen größeren Einfluss auf das Unterbewusstsein ausübten, als sich der betroffene Konsument heute eingestehen möchte. Ein mehrteiliger Fiebertraum über die Blütezeit der Videotheken, mit all ihren Abgründen und konservierten Geistern, fiktiven wie realen, lebenden wie toten.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Welche Themen und Inhalte werden von Ihnen in dem Buch angesprochen?
Zu Beginn steht die Angst zweier Geschwister, den sicheren Hafen der Eltern und des eigenen Zuhauses zu verlieren, sich plötzlich einer bedrohlichen, verrohten Umwelt schutzlos ausgeliefert zu sehen, ein Schreckensszenario, das leider an vielen Orten der Welt grausamer Realität entspricht. Gleichzeitig handelt dieses Buch aber auch von Realitätsflucht, vom Glauben an Magie und Wunder, von Schutzengeln und Ungeheuern, kurzum von einer Traumwelt, die dieses unbegreifliche Mysterium des Lebens aus junger Sicht greifbar zu machen versucht. Auch Gewalt und sexueller Missbrauch wirken auf diese unschuldige Sichtweise ein, Realität und verzerrte Dämonisierung greifen hier ebenso nahtlos ineinander über wie Selbstfindung und die Entdeckung des „eigenen“ Körpers. Als ich vor einigen Jahren auf die Idee kam, eine Geschichte über die melancholische Schönheit einer osteuropäischen, von Mythen und Sagen geprägten, inzwischen im Krieg zerfallenen Parallelwelt zu verfassen, hatte ich nicht im Traum daran gedacht, auf welchen Abgrund sich unsere Welt ein paar Jahre später zubewegen sollte. Aus dieser damaligen Sicht waren das vielmehr Zerrbilder, unter anderem für den medialen Umgang mit Gewalt als konsumgerechte Unterhaltungsware. Mit der Erschaffung einer Heldenfigur, die zunächst genau dieses Schema bedient, jedoch erst mit dem Niederlegen ihrer Waffen über sich hinauswächst. In gewisser Weise eine Anspielung auf „2001 – A Space Odyssey“, wo sich der Affe erst mit der Entdeckung der Waffe über alle anderen Arten erhebt – Eine Spiegelwelt, in der all die mediale Aggression, all das Treten, Schlagen und Morden mit seltsamem Klang widerhallt.
Wer sollte dieses Buch unbedingt lesen? Was möchten Sie ihm oder ihr vermitteln?
Ich glaube, das Buch richtet sich an Menschen, die gern träumen, die in Traumwelten fasziniert eintauchen können ohne eine entsprechende Traumlogik zu verteufeln, an Menschen, die auch in unserer alltäglichen Welt etwas Besonderes sehen, die Magie, die hinter jeder Ecke lauern könnte. Es richtet sich an emotionale Menschen, die Tränen nicht als Schwäche ansehen, die mit Figuren mitleiden und auch vor der Auseinandersetzung mit Abgründen nicht zurückschrecken. Trotz all der Dunkelheit ist es ein Buch, das Hoffnung vermitteln soll und einsame Nachtschwärmer als beste Freundin in den Arm nehmen möchte. Ein Buch für Katzenfreunde und VHS Nostalgiker, die sich ihre kindliche Begeisterungsfähigkeit bewahrt haben, ohne die Vergangenheit durch eine rosarote Brille zu sehen. Es ist ein Buch für Leser, die gern mal aus gängigen Genres ausbrechen und Werke zu schätzen wissen, die sich der klaren Einordnung entziehen.
Was war Ihr Ziel beim Schreiben dieses Buches?
Ich wollte eine Sehnsuchtsfläche erschaffen, die ich lange Zeit, aus der eigenen Bequemlichkeit heraus, vergeblich gesucht habe. Das war überhaupt der Grund, warum ich zu schreiben anfing, weil ich eine vergleichbare Heldenfigur nicht, oder nur bedingt, wiederfinden konnte, nicht das es an Heldenfiguren gemangelt hätte. Gleichzeitig wollte ich einen Sehnsuchtsort entstehen lassen, eine Traumvideothek mit Filmen, die es nicht gibt, die mit dem Unterbewusstsein zu einer Welt verschmelzen, der jegliche Grenzen fehlen, die unberechenbar ist und jedes noch so abwegige Genre zu bedienen vermag. In der heutigen Zeit schnelllebiger Reizüberflutung war mir eine gewisse Distanz wichtig, daher die Videothek als Rückzugsort, mit ihren großen, unförmig klobigen Kassettenboxen und handgemachter Video Cover Art, häufig nostalgisch verklärter Schund, der jedoch in den Menschen ein schwärmendes Miteinander hervorrief, das sich aus heutiger Sicht nur schwerlich nachvollziehen lässt. Und da kommt für mich die Literatur ins Spiel, die viel tiefer ins Innere vorzudringen vermag und so vergangenes Lebensgefühl greifbar macht.
Wie würden Sie Ihren Schreibstil beschreiben und auf welche literarischen Modelle beziehen Sie sich?
Ich sehe meinen Schreibstil, gerade hier im Erstling, noch ganz klar in den Kinderschuhen stecken und würde ihn daher eher als einen visuell dominierten Stil beschreiben, bei dem die Bilder vorpreschen und das geschriebene Wort Schritt zu halten versucht. Je mehr ich schreibe, lese und die eigenen Texte laut durchgehe, desto klarer kristallisiert sich ein Gefühl für Sprache heraus, für Rhythmus und Feinheiten. Es ist ein ständiger Prozess des unbewussten Lernens, über den ich mir zumeist erst dann im Klaren bin, wenn ich ein Manuskript nach einer gewissen Zeit noch mal zur Hand nehme. Wichtig sind mir beim Schreiben vor allem innere Bilder, das komplexe, unergründliche Labyrinth, das der Mensch unter seiner Oberfläche verbirgt und das sich visuellen Medien weitestgehend entzieht. Literarische Werke, die mich dahingehend stark geprägt haben sind beispielsweise Margarete Böhmes „Tagebuch einer Verlorenen“ und „Dida Ibsens Geschichte“, Werke, die eine solche emotionale Wahrhaftigkeit erzeugen, ein so tiefes Hineinversetzen in das Innenleben der Figuren in Wechselwirkung zu ihrer Umwelt, dass die hundertzwanzig Jahre seit ihrer Veröffentlichung als historische Distanz wegfallen. Was bleibt ist die unsterbliche Seele eines Menschen im geschriebenen Wort, Gedanken und Empfindungen konserviert für die Ewigkeit. Ein anderes Vorbild sind die fantastischen Welten des großen Michael Ende, sein einzigartiges Gespür für Poesie und literarische Schönheit. Mit Momo schuf er eine Heldin, die durch bloßes Zuhören zur Heldin wurde, was mich nachhaltig meine bisherigen Heldenbilder überdenken ließ.
Wie war Ihre Verlagserfahrung mit Europa Buch? Schreiben Sie derzeit an einem neuen Buch?
Für mich als Neuling war es eine ganz und gar surreale Erfahrung. Ich bin damals eher zufällig auf den Aufruf von Europa Buch gestoßen, hab das Manuskript ohne große Erwartung eingereicht, nach dem Motto: ›Hab ja nichts zu verlieren!‹ Als dann irgendwann der Anruf vom Verlag kam, wollte ich es zunächst kaum glauben. Ich kann dem Verlag hier nur meinen großen Dank aussprechen, für das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde, für den Glauben an die etwas unkonventionellen Visionen eines Neuautors. Ich habe mich über den gesamten Prozess der Veröffentlichung gut aufgehoben gefühlt und bin sehr gespannt, wie das Buch aufgenommen wird und wie es in den kommenden Monaten weitergeht. Tatsächlich gibt es bereits mehrere Werke, die kurz vor der Fertigstellung stehen und ich brenne drauf, sie dem Verlag in Kürze vorstellen zu können.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Erfahrungen auf den Kern zu bringen. KITT(Y)LECTRIC und die Gaukler von Oliver Rennicke, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden, weil das neue Perspektiven und Wahrnehmungsmöglichkeiten eröffnet.