Heute besprechen wir das Buch Die moralische Revolution von Michael Lutz, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
Die moralische Revolution von Michael Lutz, erschienen beim Verlag Europa Buch, zielt zum Einen darauf ab, einen Diskurs der wissenschaftlichen Sachlichkeit herbeizuführen, mit einem Verweis auf Moral und Ethik, die wieder zurück in den Mittelpunkt unseres individuellen und kollektiven Bewusstseins gelangen müssen, wenn wir die großen Herausforderungen unserer Zeit meistern wollen, zum Anderen darin, von unserer kostbaren Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen und unterschiedliche Ansichten zu verschiedenen Themen, von Kultur und Politik bis zu Wissenschaft und Gesellschaft, vorzustellen.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für die Verarmung des demokratischen Lebens und den Aufstieg des Populismus?
Ich halte es für das größte Problem, dass Populisten immer mehr bestimmen, wie wir bestimmte Themen in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Es ist schlichtweg kaum noch möglich, sich etwa rational und fundiert über Einwanderungs-oder Klimapolitik oder auch Corona-Maßnahmen auszutauschen, ohne von populistischer Seite angefeindet zu werden. Demokratie erfordert aktive Beteiligung und auch Mut, sich den radikalen Kräften in den Weg zu stellen. Ich glaube, dass demokratieverdrossenen Menschen diese komplexen Prozesse und Anstrengungen nicht mehr bereit sind, auf sich zu nehmen. Wir leben in unglaublich unsicheren und beunruhigenden Zeiten. Corona, Klimawandel, Armut und dergleichen. Auch psychologisch betrachtet wird sich häufig in den Populismus geflüchtet, um wieder einfache Antworten und ein klares Weltbild zu erhalten und somit wieder Sicherheit für sein eigenes Leben zu bekommen. Das ist menschlich nachvollziehbar, politisch und philosophisch allerdings fatal, da sich aus einer wahrheitsfeindlichen Haltung oftmals sehr schwerwiegende ethische Konsequenzen ergeben. Im Übrigen sind diese Phänomene, die wir heute beobachten können, keineswegs neu. Populismus gab es bereits in der antiken Polis! Damals waren es die sogenannten Sophisten, Rhetorikkünstler, die die Menge mit emotionaler Mobilisierung anstelle von guten Argumenten zu erreichen versuchten. Die immer größer werdende Demokratiefeindlichkeit heutzutage beobachte ich allerdings mit großer Sorge.
Welche Maßnahmen können Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um den Wert der Wahrheit und des konstruktiven Dialogs zu bekräftigen?
Wie bereits gesagt, sprechen Menschen immer auf Populismus an. Manche mehr und manche weniger. Wichtig ist es meines Erachtens aber klar zu stellen, dass das Problem des Populismus nicht allein auf der individuellen, psychologischen Ebene gelöst werden kann, da wir es hier mit einem durchaus strukturellen Problem zu tun haben. Sicherlich hilft es bereits, Populismus als solchen in Debatten deutlich zu kennzeichnen, genauso wie auch rassistische Äußerungen immer kritisch angemerkt und niemals ignoriert werden sollten, auch aus Verpflichtung den ganzen „stillen Zuhörern/Leserinnen“ gegenüber! Von der demokratischen Meinungsfreiheit dürfen alle Gebrauch machen, die sich kritisch und konstruktiv äußern. Es liegen hierbei aber Grenzen vor! Extremer Populismus, der Hass und klare Lügen verbreitet, darf nicht geduldet werden. Wer diese Minimalbedingungen des Anstands nicht einhält, muss damit rechnen, vom Dialog ausgeschlossen zu werden, was als letzte Maßnahme sicherlich nicht wünschenswert aber manchmal einfach unumgänglich ist. Ob breitflächige Aufklärung etwa über Wissenschaft und Ethik dabei helfen können, einen „Wahrheitsdiskurs“ (Begriff von Foucault) herbeizuführen, bezweifle ich. In meinen Augen ist der unterschiedliche Wissensstand von verschiedenen Menschen eher sekundär, wohingegen Unzufriedenheiten und tief sitzende Verunsicherung als allgemeines Problem der Moderne weitaus schwerer wiegen. Wir müssen mehr lernen, wieder aufeinander zuzugehen und einander zu verstehen. Für die Politik heißt das, die Menschen und deren Sorgen ernster nehmen als dies zuweilen geschieht! Es gilt aber auch hier: Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten! Ob Wahrheit in der Politik überhaupt zu finden ist, scheint mir eine äußerst schwierige Frage zu sein.
Wie kann Ihrer Meinung nach der Rückgriff auf Moral und Ethik, die individuell sind, dazu beitragen, die demokratische Öffentlichkeit wieder aufzubauen?
Ich würde nicht sagen, dass Ethik und Moral private Angelegenheiten sind. Da wir, individueller Unterschiede zum Trotz, alle Menschen sind, also der gleichen Art angehören, sind wir einander ähnlicher als wir zunächst meinen. Somit halte ich es für möglich und auch erstrebenswert, eine gemeinsame ethische Wertebasis zu errichten, die speziell auf die großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts zugeschnitten ist. Hierfür plädiert übrigens auch die Philosophin Martha Nussbaum. Ein gemeinsames Ziel und ein gemeinsamer Wertehorizont kann eine Gesellschaft durchaus zusammenhalten! Das Problem ist, dass wir in der heutigen Zeit leider zu viele Menschen haben, die sich „überflüssig“ vorkommen und scheinbar nicht gebraucht werden. Sie fühlen sich von der Politik, in der modernen Arbeitswelt und im Privatleben vernachlässigt und abgehängt aus sozialen, kulturellen oder epistemischen Gründen. Das begünstigt Unzufriedenheit und das bereits thematisierte Gefühl von Unsicherheit und Machtlosigkeit und ist Nährboden für Populismus und Demokratiefeindlichkeit. Eine universale moralische Zielhaltung würde uns alle betreffen und miteinbeziehen, schließlich ist es auch unsere gemeinsame Welt, für die wir kämpfen und in der wir und unsere Nachkommen ein gutes Leben führen möchten. Ein Rückgriff auf Moral und Ethik gibt den Menschen wieder einen Sinn im Leben, eine Aufgabe und befreit sie von der Last der Hilflosigkeit. An der Stelle sollten wir ansetzen! Und nochmal möchte ich betonen, dass es möglich ist, sich auf ein moralisches Ziel zu einigen, da wir alle Menschen sind und gewisse Grundbedürfnisse wie Frieden, Sicherheit, Sinn und auch Gerechtigkeit einfach teilen! Für eine demokratische Gesellschaft ist es nicht utopisch, moralisch zu sein!
Was denken Sie, wie wird sich die Demokratie in Westeuropa in Zukunft entwickeln?
Ich denke, dass das Jahr 2021 wegweisend ist! Die Bundestagswahl in Deutschland ist die Wichtigste seit Jahren, denn sie wird aller Voraussicht nach, die letzte Chance sein, sich eindeutig in Fragen der Bekämpfung des Klimawandels und der sozialen Gerechtigkeit zu positionieren, bevor es zu spät sein wird. Daher macht es mich umso trauriger, dass ausgerechnet diese Wahl von „negative campaigning“, unerträglich vielen ad hominem Argumenten und Mangel an sachlichen Argumenten überschattet wird. Auch in Frankreich sind ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl Populisten auf dem Vormarsch. Die weitere Entwicklung der Demokratie in Westeuropa wird nicht zuletzt auf das zukünftige Verhältnis von Deutschland und Frankreich angewiesen sein, die in gewisser Weise das Herzstück der Europäischen Union bilden. Es wird abzuwarten sein, wie mit populistischen Tendenzen innerhalb der EU und möglichen Störfaktoren von außen umgegangen wird. All diese Fragen verdichten sich, wie ich finde, in der Corona-Krise! Wie werden die einzelnen Staaten aus der Pandemie herausfinden? Wie wird ihr gesundheitlicher, psychologischer und wirtschaftlicher Status sein? Wird es den demokratischen Staaten des Westens gelingen, die eigenen populistischen Kräfte in die Schranken zu weisen, die sich vor allem während der Corona-Krise deutlich zu erkennen gegeben haben? Davon wird Vieles in Westeuropa abhängen. Wir stehen vor wegweisenden Monaten und wir stehen am Scheideweg. Noch haben wir die Wahl…
Wie war Ihre Erfahrung als Autor mit Europa Verlag? Würden Sie es wieder tun? Planen Sie, weitere Bücher zu schreiben?
Der Europa Verlag hat mir als jungen Autor eine Chance gegeben in einer coronabedingt auch wirtschaftlich schwierigen Zeit. Für dieses Vertrauen bin ich dem Verlag sehr dankbar. Ich bin begeistert von der Professionalität, die der Verlag an den Tag legt. Es gibt so viele Ansprechpartnerinnen und Partner in den unterschiedlichsten Bereichen der Produktion und des Marketings. Ich fühle mich als Autor durchaus wertgeschätzt und freue mich sehr darüber! Natürlich kann ich mir vorstellen, weitere Bücher zu schreiben. Dies ist etwas, was mich bereits mein ganzes Leben begleitet hat. Priorität hat ein neues Werk momentan allerdings nicht, da ich meinen Fokus vor allem auf mein Studium lege. Ich weiß nicht, wie sich die Zukunft auch in persönlicher Hinsicht entwickeln wird. Aber wie auch in der Politik und der Moralphilosophie bleibe ich auch hierbei ein Optimist!
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. Die moralische Revolution von Michael Lutz, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine ethisch-politisch spannende Reise gehen, an deren Ende man ein intellektuelles Vergnügen und ein erweitertes Verständnis hat.