Heute besprechen wir das Buch Nehmen und Geben: Ein afghanisch-deutsches Lebenswerk von Nazir Peroz, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die persönlichen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
In Nehmen und Geben: Ein afghanisch-deutsches Lebenswerk von Nazir Peroz, erschienen beim Verlag Europa Buch, beschreibt der Autor seine Zeit an der TU Berlin, an der er Informatik studiert und später als Dozent im Bereich Informatik und Entwicklungsländer lehrt und forscht. Schon im Laufe seines Studiums interessiert er sich für die Hochschul- und Entwicklungspolitik. Er vermittelt sein Wissen an die Studenten, wie auch arme Länder durch Digitalisierung profitieren können. Der Kreis schließt sich, als er die Chance erhält in seinem Heimatland unter komplizierten Rahmenbedingungen über zwanzig Jahre hinweg IT-Strukturen an afghanischen Hochschulen aufzubauen. Damit gibt er vielen jungen Menschen eine Zukunftsperspektive. Der Blick in das politische und soziale Milieu ermöglicht ihm eine Bilanz zu ziehen, die weit über die reine Faktendarstellung hinausgeht. So gibt er zurück, was er auf seinem Lebensweg genommen hat.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Welche Themen und Inhalte werden von Ihnen in dem Buch angesprochen?
Das Buch umreißt meine ersten 20 Lebensjahre in Afghanistan sowie den Auszug in die Fremde. Mit der Entscheidung in Deutschland zu studieren war ich konfrontiert mit dem damals völlig unbekannten Studienfach Informatik und insbesondere mit der neuen Lernumgebung an einer deutschen Hochschule (Technischen Universität Berlin, TU Berlin). Durch meine eigenen Erfahrungen motiviert, kümmerte ich mich um die Verbesserung des Ausländerstudiums und widmete meine akademische Laufbahn der Thematik Informatik und Entwicklungsländer. Ich beschreibe spannende und vielfältige IT-Projekte, die darin mündeten, theoretische Konzepte in der Praxis anzuwenden. Afghanistan und der Irak waren die vorrangigen Länder, für die wir IT-Strukturen aufbauten und Personal an der TU Berlin ausbildeten. Daraus entstanden letztlich 20 intensive Jahre, in denen ich in meinem Heimatland Afghanistan das Fundament der IT-Strukturen etablieren konnte. Das Buch vermittelt nicht nur die Schwierigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit, sondern befasst sich auch mit dem politischen Scheitern der westlichen Mächte und dem Versagen der afghanischen Politiker in Afghanistan. Es lässt den Leser aber nicht ohne Aussicht auf mögliche Friedensaktivitäten.
Wer sollte dieses Buch unbedingt lesen? Was möchten Sie ihm oder ihr vermitteln?
Dieses Buch spricht eine breite Leserschaft an, insbesondere solche, die sich für Hochschulpolitik, Entwicklungspolitik oder ein Krisenland wie Afghanistan interessieren. Es verschafft Einblicke in die besonderen Herausforderungen für ausländische Studierende, die aus Entwicklungsländern stammen, zeigt die defizitären hochschulpolitischen Rahmenbedingungen auf und beschreibt Lösungsmöglichkeiten, wie sie an der TU Berlin umgesetzt wurden. Das Buch zeigt auf, wie komplex die Entwicklung und Umsetzung von IT-Projekten in dem kriegsgeschüttelten Krisenland Afghanistan waren. Nur mit Fingerspitzengefühl und kultureller Kompetenz waren einige Problemfelder zu meistern. Das politische und kulturelle Scheitern Afghanistans zeigt jedoch auf, dass es die Konzeptlosigkeit des Westens und die politischen Rahmenbedingungen waren, die den Aufbau des Staates und der nationalen Einheit sowie die Nachhaltigkeit von Entwicklungsprojekten verhindert haben. Die zu hohe Erwartungshaltung und das Überstülpen fremder Wertmaßstäbe waren zusätzliche Hindernisse.
Was war Ihr Ziel beim Schreiben dieses Buches?
Ich möchte dem Leser mein Heimatland näherbringen und dessen Kultur beschreiben. Stellvertretend für viele andere ausländischen Studierenden habe ich meine Startschwierigkeiten aufgezeigt, um den Leser auf deren spezifische Probleme hinzuweisen und dafür zu sensibilisieren. Ich hoffe dadurch auch den einen oder die andere Person zu erreichen, die sich für die Belange ausländischer Studierender interessiert und an der Verbesserung mitwirken kann. Ausländische Studierende sind schließlich die Botschafter ihrer Herkunftsländer hier in Deutschland.
Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiger Bereich der Außen- und Wirtschaftspolitik. Die Ziele sind grundsätzlich positiv zu bewerten. In der Realität erkennt man jedoch nur allzu oft, dass die Ziele verfehlt werden und sich in den zu entwickelnden Ländern keine Verbesserung der Lebenssituation einstellt. Woran das liegen mag, zeigen meine persönlichen Erfahrungen sowohl in der Lehre als auch in der Forschung als auch bei der Entwicklung und dem Aufbau von IT-Strukturen in Afghanistan auf.
Ein weiteres Ziel ist es, aus dem Scheitern in Afghanistan zu lernen. Das gilt nicht nur für die westlichen Mächte, sondern insbesondere auch für uns Afghanen selbst. Ich möchte sie mit diesem Buch wachrütteln als wichtiges Potenzial für die Entwicklung unseres Heimatlandes aktiv mitzuwirken. Denn nur wir selbst können vor dem Hintergrund unserer Geschichte unsere Geschicke in die Hand nehmen und zum Erfolg bringen.
Wie haben Ihr Freundeskreis, Ihre Bekannte oder Ihre Familie auf die Buchsveröffentlichung reagiert?
Die Familie und der Freundeskreis waren natürlich neugierig endlich das Buch zu lesen, woran ich in den letzten zwei Jahren gearbeitet habe und von dem ich immer wieder erzählte. Sie haben dadurch einen tiefen Einblick in mein Leben in Afghanistan als auch in Deutschland erhalten. Viele haben sich anerkennend geäußert, denn es wurde ihnen erst in der Rückschau durch mein Buch bewusst, welch großen Einfluss ich auf meinen Arbeitsbereich an der Hochschule in Deutschland aber auch auf den Wiederaufbau in Afghanistan nehmen konnte. Durch das Lesen meines Buches wurden interessante Diskussionen über die verfehlte Entwicklungspolitik und deren Konsequenzen angeregt. Da viele Familienmitglieder bereits im Kindesalter aus Afghanistan geflohen waren oder in Deutschland geboren sind, konnte ich durch meine Geschichte ihnen ihr Herkunftsland oder den familiären Hintergrund näherbringen. Sie sind sensibilisiert und ich habe die Hoffnung, dass dies eines Tages Früchte trägt, wenn die politische Situation dies zulässt.
Stehen schon neue Projekte an?
Derzeit befasse ich mich mit den Themen Frieden, Sicherheit und Stabilität für Afghanistan. Durch die Vernetzung mit Freunden und ehemaligen Entscheidungsträgern in Afghanistan hoffe ich, dass ein innerafghanischer Dialog zustande kommt. Es gilt zunächst auszuloten, ob man eine gemeinsame Gesprächsgrundlage findet und Einflussmöglichkeiten gewinnt, die verhärteten Strukturen im Lande selbst zu bewegen.
Daneben beschäftige ich mich mit Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Welt. Beides halte ich für einen Nährboden für Neid, Aggression, Konflikte und Kriege.Die Ungleichheit und Ungerechtigkeit generell gefährden zwischenmenschliche Beziehungen und den Zusammenhalt von Gesellschaften. Sie sind fundamentale Ursachen für soziale Spannungen und verhindern die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft. Der Abbau von Ungleichheit und Ungerechtigkeit stärkt den sozialen Zusammenhalt einer Gruppe oder einer Gesellschaft. Er verhindert Neid, weckt Leistungsbereitschaft, trägt zu Wirtschaftswachstum bei und kann der Migration vorbeugen. Deshalb ist es wichtig diesen Wandel hin zu gerechten Gesellschaften zu unterstützen.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Erfahrungen auf den Kern zu bringen. Nehmen und Geben: Ein afghanisch-deutsches Lebenswerk von Nazir Peroz, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden, weil das Buch neue Perspektiven und Wahrnehmungsmöglichkeiten eröffnet.