Dies ist zweifellos das persönlichste Buch von Johannes Heinrichs, seine „Confessiones“. Wie der Untertitel andeutet, geht es erstens um die persönliche Auseinandersetzung des Autors, der 15 bzw. – die Übergangszeit mitgerechnet – 18 Jahre dem Jesuitenorden angehörte, erstens mit der katholischen Kirche, zweitens mit der universitären Philosophie, drittens mit unserer stehengebliebenen Halbdemokratie. Beim ersten Thema bringt er sein persönliches Drama als Bisexueller mit ins Spiel, seine Weigerung, auf Dauer ein Doppelspiel mitzumachen, nachdem er erkannt hat, dass diese Weltkirche ohne das vielfältige Doppelspiel ihrer Priester in ihrer monarchisch verfassten Scheinherrlichkeit und Scheinheiligkeit gar nicht mehr existieren könnte. Die Scheinheiligkeit hat sich inzwischen als der Nährboden der allseits bekannten Missbrauchsfälle erwiesen, auf die anfangs eingegangen wird. Der 35-jährige Jesuit verzichtet, gegen den beschwörenden Rat von opportunistischen und systemkonformen Mitbrüdern, um der eigenen Wahrhaftigkeit willen auf seine sichere Philosophie-Professur in Frankfurt und Rom, in der sehr begründeten Hoffnung auf eine weltliche Professur. Er muss jedoch dann eine noch größere Enttäuschung als die mit Kirche und erlebter Sexualität erleben: Dass sich ihm auch die Tore der „freien“ Universitäten verschließen. Denn diese sind nicht allein durch die Platzhirsche des angeblich „herrschaftsfreien Diskurses“ und durch das von jenen gestützte Mittelmaß vermachtet, sondern auch durch die Konkordatsverhältnisse, in denen das Konkordat der Kirche(n) mit dem Hitler-Staat von 1933 in verdeckter Form weiterlebt: nicht nur staatliche Glaubensverkündigung durch die theologischen Fakultäten, sondern auch kirchlich approbierte Professoren auf philosophischen und anderen (juristischen, historischen) Lehrstühlen. Solche versperren dem hochqualifizierten Ex-Jesuiten, der sein altes Beziehungsfeld verloren hat, an entscheidenden Stellen den Weg, so dass er sich als arbeitsloser Schriftsteller und Ghostwriter durchschlagen muss. Wie sich das Berufliche mit dem philosophisch-theologischen und dazu mit dem sexuellen Thema verbindet, wird in spannender Weise dargestellt, nicht ohne Selbstkritik des Betroffenen. Die Form des Dialogs mit dem erfolgreichen Coach Korai Peter Stemmann lässt weder Langeweile noch Selbstgefälligkeit der Erzählung aufkommen. Was aber aufkommt, ist die Frage nach der Gerechtigkeit eines Berufungssystems, bei dem die Besten leer ausgehen können.
Ein Anhang „Mein Denkweg“ verdeutlicht auch solchen Lesern, die mit Heinrichs` umfangreichem philosophischen Werk bisher nicht vertraut waren, was diesen genialen Kopf vor dem schlichten Verstummen und dem Zermalmtwerden zwischen den Rädern der Systeme Kirche, Staat, historisierende Universitätsphilosophie, merkantile Publizistik usw. bewahrt hat und was ihn dem Vergessen auch künftig entreißen wird: eine ungemein kreative, methodisch durchsichtige Weiterentwicklung der oft nebulös so genannten Transzendentalphilosophie unter dem Titel einer dialektischen oder integralen „Reflexionstheorie“, die alle Bereiche umfasst, nicht zuletzt den sehr praktischen, konstruktiven Entwurf einer Wertstufendemokratie, einer philosophisch fundierten Synthese von direkter und parlamentarischer Demokratie. Diese mitreißende Autobiografie ist zugleich ein viel erklärendes Sachbuch.
Daniel Bigalke