Heute besprechen wir das Buch Der stumme Schrei von Helga Zwosta, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit der Autorin des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die die Autorin im Laufe ihres Schreibens anspricht und die sie mit ihren Leserinnen und Lesern teilen möchte.
Der stumme Schrei von Helga Zwosta, erschienen beim Verlag Europa Buch ist – wie der Journalist Philipp Pfäfflin feststellt – nicht nur ihre Lebensgeschichte, es ist ein Zeitzeugnis, das stellvertretend für etliche andere „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“ steht. Helga Zwosta hat jahrelang mit „ewigen Schuldgefühlen“ und einem „Betonring um die Brust“ leben müssen. Dieser ist geplatzt, schreibt sie. Das macht Mut.
Vieles konnte sich Helga Zwosta nicht erklären: das Nicht-Weinen-Können. Das Gefühl, keine Lebensberechtigung zu haben. Die Sehnsucht, nicht zu sein. Die Ursachen lagen in ihrer frühesten Kindheit – und in den Traumatisierungen ihrer Mutter während des Zweiten Weltkrieges. Um diese herauszufinden, machte sich die Mutter von drei Kindern auf Spurensuche: Tagebucheinträge, Briefe und auch Reisen an Orte ihrer Kindheit halfen weiter, außerdem das Arbeiten mit Möglichkeiten der Psychotherapie. Ihre beharrliche Suche hat sie in „Der stumme Schrei“ aufgeschrieben – offen, ungeschützt und selbstkritisch.
Um mehr darüber zu erfahren, hier ist das Interview mit der Autorin: Viel Spaß beim Lesen.
Welche persönlichen Erfahrungen fließen in Ihren Roman ein? Hat das Schreiben einen kathartischen Wert für Sie?
Mein Buch ist eine Autobiografie, ein Erinnern gegen das Schweigen rundum, in dem ich aufgewachsen bin, geb. 1940, nach NS-Zeit, Krieg, Flucht und Vertreibung. Meine dunkle, mich belastende Seite forderte mich heraus: Warum bin ich so, wie ich bin? Wer waren sie, meine Eltern? Eine Spurensuche, die zu innerer Befreiung führt.
Wie wichtig ist es, erzählen zu können, was uns widerfahren ist, um sich dessen wirklich bewusst zu werden, es zu verarbeiten und wieder zu leben?
Seit meinem 16. Lebensjahr schreibe ich Tagebuch, später auch Traumtagebücher. Beides liegt unter anderem meinem Buch zugrunde. Erzählen führt zu Bewusstwerdung und Klärung, zu Konfrontation und Auseinandersetzung mit der eigenen Realität, zu Weiterentwicklung und Befreiung. Schweigen macht krank.
Welche grundlegenden Themen werden in dem Buch angesprochen?
Meine lebenslange Belastung durch als Kind erfahrene Kriegstraumata und innere Befreiung nach mehr als 60 Jahren. Die unbewusste und ungewollte Weitergabe der traumatischen Belastungen an die folgenden Generationen. „Transgenerationale Weitergabe“. Aufarbeitung von NS-Zeit und ihren Folgen in der eigenen Familie als Bollwerk gegen das Wiedererstarken rechter und rechtsradikaler Kräfte. Aktualität und Zeitlosigkeit von Krieg und Gewalt und ihren Folgen überall in der Welt. Das Titelbild meines Buches: Ein Junge – ein Syrer? – , fassungslos und hilflos ausgeliefert dem Chaos der Zerstörung.
Was möchten Sie den Leserinnen und den Lesern vermitteln?
Die frohe Botschaft: Befreiung ist möglich, wenn man sich der Realität stellt, der eigenen, der Familie, der Gesellschaft. Wir Deutschen sind eine durch und durch traumatisierte Nation durch die NS-Zeit und ihre Folgen. Mein Buch, sehr offen, persönlich, mutig erzählt, macht verletzlich, mich und meine Familie. Aber ist es nicht das Einzelschicksal, das berührt? Die emotionale Betroffenheit? Deshalb erzähle ich davon. Zeugnis ablegen. Offenheit heilt. Reden statt Schweigen.
Wie war Ihre Erfahrung als Autor mit Europa Verlag? Würden Sie es wieder tun? Planen Sie, weitere Bücher zu schreiben?
Besonders schätze ich die Einfühlungsfähigkeit meiner Begleiterinnen in meinen Text, den Respekt und die Akzeptanz der Vorstellungen der Autorin und die grundsätzliche Freundlichkeit im Umgang miteinander. – In mir arbeitet die Idee für einen Roman, wieder würde ich mit EuropaBuch zusammen arbeiten… Aber erst muss der Roman geschrieben werden!
Hier ist ein Auszug aus dem Text: „Mein „Trichter“ war ihr „Trichter“, der „Trichter“ meiner Mutter. Ihr tiefster Abgrund mein tiefster Abgrund, ihr Sog in den Tod, mein Todessog, ihre Schuld meine Schuld. Unbewusste Identifikation mit meiner Mutter, die Übernahme der Schuld der Täterin durch mich, das Opfer. War das das dunkle Band, das uns schicksalhaft miteinander verknotet hatte? Der Sog ins Grab wie „siamesische Zwillinge“? Über ihren frühen Tod hinaus mein Leben lang. Das Ereignis abgespalten, verdrängt ins Unbewusste. Das Bild des „Trichters“ ein Bild meiner Ängste, wann immer diese sich in meinen Alltag einschlichen. Sie wollte mich mit sich ziehen ins Grab, sie, meine Mutter, grau, kalt und starr wie Granit, wie meine Träume unbeirrt gezeigt hatten, die nicht zensierte Sprache des Unbewussten.“
Wir danken der Autorin für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. Der stumme Schrei von Helga Zwosta, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine geschichtliche und autobiografische Reise gehen. Der Text vermittelt eine klare Vorstellung davon, wie es ist, im Kontext eines Krieges aufzuwachsen und eine empathische Verbindung zu denen herzustellen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.