Heute besprechen wir das Buch Ein Sommerleben von Markus Weiss, erschienen beim Verlag Europa Buch. Wir präsentieren hier ein Interview mit dem Autor des Buches, um die literarischen Aspekte und die wichtigsten Erfahrungen zu verdeutlichen, die in diesem Text verdichtet sind. Wir besprechen auch die wichtigsten Themen, die der Autor im Laufe seines Schreibens anspricht und die er mit seinen Leserinnen und Lesern teilen möchte.
Ein Sommerleben von Markus Weiss, erschienen beim Verlag Europa Buch, kann als eine Rekonstruktion der Erinnerung an die eigene Vergangenheit definiert werden, deren man oft nicht Herr wird, sondern sie entgleitet. Deshalb kann die literarische Praxis des Schreibens uns vielleicht besser als jedes andere Mittel erlauben, unser vergangenes Leben wieder zu erfahren und uns der Gegenwart, die wir leben, bewusster zu sein.
Hier ist das Interview mit dem Autor: Viel Spaß beim Lesen.
Welche Themen bestimmen das Buch?
Die bestimmenden Themen des Buches sind Liebe und Tod, wobei es in der Erzählung v.a. um die Entwicklung des Protagonisten Michael geht, der im oberschwäbischen Ravensburg der 80er-Jahre aufwächst. Seine Kindheit wird dominiert durch den frühen Tod seiner Mutter und die emotionale Kälte, die in seinem Elternhaus, nach der Wiederverheiratung des autoritären Vaters herrscht. Ein Ich-Erzähler schildert seine Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen in Form eines Bewusstseinsstroms, teilweise aus der Retrospektive mit Unschärfen im Hinblick auf die Wahrheit seiner Erinnerungen und die auftretenden Figuren. Die Erzählung trägt autobiografische Züge und ist eingefasst in einen zeitlichen Rahmen von 1969 bis 2019, was durch Prolog und Epilog strukturiert wird. Die Geschichte spielt scheinbar nur in einem Sommer, wird allerdings auf eine Woche, die Michael in einem Kloster verbringt, verdichtet, und sowohl die Zeitebenen, Personen und Erinnerungen als auch Realität und Fiktion verschwimmen.
Wie, glauben Sie, ist es möglich, Herr über die eigene Vergangenheit zu werden, sich an sie zu erinnern und über sie zu schreiben? Hatten Sie auch schon Episoden unwillkürlichen Erinnerung im Stil von Proust?
Das Schreiben ist für mich der Schlüssel um mich meiner eigenen Vergangenheit anzunähern. Die Bilder meiner eigenen Kindheit, Erlebnisse, Gerüche, Düfte und Erfahrungen tauchen dabei wie in einem Bilderreigen sowohl in meinem eigenen Erleben in der Erinnerung auf und ziehen fast episodenhaft vorbei. Aus diesem „Material“ werden durch den Prozess des Schreibens die Reminiszenzen zur Fiktion, die Michaels Leben prägen, die dann nur noch bedingt biografisch verortet werden können, letztendlich aber seine Gegenwart und seine Zukunft bestimmen.
Glauben Sie, dass die Erinnerung, über die Sie schreiben, eine Objektivität hat, die mit der Realität transparent ist, oder ist sie das Ergebnis der Begegnung zwischen Ihren sprachlichen Kategorien, Ihren Erfahrungen einerseits und der Realität der Kindheit andererseits? Warum?
Die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt in der Erzählung und um mit dem Buch zu sprechen: „Alles begann an diesem heißen Julitag und die Geschichten eines Sommers verschmelzen hier in Erinnerungen und Begegnungen, sodass ich heute nicht mehr sagen kann, was nicht wahr ist und was wirklich geschehen ist.“
Die verdichtete Sprache des Buches, die immer wieder auch poetisch Zusammenhänge in Gedichten reflektiert, soll dies bewusst offen halten, so dass der Leser seinen ganz eigenen Zugang zur Welt und zum Erleben des Protagonisten Michael finden kann und so in den Bilder, die in Retrospektiven fast „heraufbeschworen“ werden, vielleicht seine eigene Kindheit, seine Erinnerungen und Erfahrungen reflektieren zu können.
Welche Gefühle und Befriedigungen erleben Sie heute beim Erinnern und Schreiben über die Vergangenheit?
Das Schreiben ist ein Prozess der, je älter ich werde eine Möglichkeit eröffnet zum einen meine eigene Biografie zu reflektieren und gleichzeitig in der Fiktion literarisch zu gestalten. Hierbei ist die Festlegung auf Sprache, Landschaften, Personen und Orte wie ein Spiegel, der mit einem lächelnden Auge ermöglicht den eigenen Standort zu bestimmen und gleichzeitig über die Fiktion zu modellieren.
Wie war Ihre Erfahrung als Autor mit Europa Verlag? Würden Sie es wieder tun? Planen Sie, weitere Bücher zu schreiben?
Der Prozess der Redigierung war für mich sehr zeitaufwändig und hier gibt es sicher einiges, was der Europa-Veralg in den Abläufen verbessern könnte.
Die Geschichte des Protagonisten Michael geht weiter: In der Erzählung gibt es einen Zeitraum, der nicht erzählt wird. Es wird ein Fortsetzung geben an der ich gerade arbeiten, mit dem Titel “Ein Jahrleben”, in der die Geschichte des Protagonisten Michael durch die Begegnung mit einer jungen Frau, die ein Geheimnis mit sich trägt, eine dramatische Wendung nimmt.
Wir danken dem Autor für die Beantwortung unserer Fragen und die Hilfe, den Text und die damit verbundenen Themen auf den Kern zu bringen. Ein Sommerleben von Markus Weiss, erschienen beim Verlag Europa Buch, verdient es, aufmerksam gelesen zu werden und lässt uns auf eine Reise der Erinnerung und des Bewusstseins gehen, die uns lehrt, das, was wir jeden Tag erleben, nicht für selbstverständlich zu halten. Unsere Vergangenheit birgt oft einen Schatz an Erfahrungen, den nur die Sprache – und insbesondere die Sprache der Literatur – ans Licht bringen kann: Es ist die Arbeit von Erinnerungsarchäologen, die dieser Roman skizziert.